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Im Gespräch: Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer VDV.

Corona und der ÖPNV. Eine Geschichte, die für viele Menschen Zündstoff zu beinhalten scheint. Wir haben nachgefragt.

„Nahezu alle Fahrgäste halten sich an die Maskenpflicht.“

ÖPNV und Corona. Heute und morgen.

Im Gespräch mit Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der deutschen Verkehrsunternehmen VDV.

DINGFO: Die Impfungen gegen das Corona-Virus haben endlich begonnen – wie sehr atmen Sie auf?

Oliver Wolff: „Auch, wenn die Impfungen jetzt erst beginnen, sind wir doch sehr positiv gestimmt, nachdem die Biotechnologieunternehmen durchweg erfolgreiche Schritte bei der Entwicklung eines Wirkstoffes gemacht haben.

Für den ÖPNV bedeutet das allerdings nicht, dass die Situation sich von heute auf morgen ändert.

Wir erwarten für 2021 nach wie vor eine deutlich geringere Nachfrage. Der Prozess der Impfung wird geraume Zeit in Anspruch nehmen, und es wird erhebliche Überzeugungsarbeit benötigen, um ausreichend viele Menschen zu impfen.

Wir sollten uns also anstrengen, weiterhin für die Hygienemaßnahmen zu werben, aber auch der Impfung positiv gegenüber zu stehen.“

„In Corona-Zeiten hat der ÖPNV bewiesen, dass er systemrelevant ist, sprich: dass man nicht auf ihn verzichten kann!“

Öffentlicher Nahverkehr auf Abstand.

DINGFO: Dank der Hilfsmaßnahmen von Bund und Ländern sind die Verkehrsunternehmen vergleichsweise glimpflich durch 2020 gekommen – bleiben dennoch Schäden zurück?

Oliver Wolff: „In Corona-Zeiten hat der ÖPNV bewiesen, dass er systemrelevant ist, sprich: dass man nicht auf ihn verzichten kann! Auch, wenn mehr Menschen Fahrrad oder Auto fahren, sind Busse und Bahnen mit nahezu vollem Fahrplanangebot das Rückgrat der Mobilität geblieben.

Allerdings hat das seinen Preis: Die andauernde Pandemielage, die daraus resultierende Kurzarbeit und das Arbeiten von zu Hause sowie weniger Reiseanlässe mangels Festen und Veranstaltungen bzw. Tourismus werden auch in 2021 weiter zu niedrigeren Fahrgeldeinnahmen führen – erste Schätzungen sagen bis zu 3,5 Milliarden Euro.“

DINGFO: Können Sie denn nachvollziehen, wenn Fahrgäste sagen: In Corona-Zeiten steige ich lieber nicht bei Euch ein? Oliver Wolff: „Dafür gibt es keine harten Gründe.

Denn die Maskenpflicht, das systematische Lüften durch Türöffnen, die Wirkung von Klima und Lüftung, die relativ kurzen Aufenthaltszeiten, die Verstärkerbusse im Schulverkehr und letztlich die Tatsache, dass man im Nahverkehr eher wenig spricht, mindern das Infektionsrisiko deutlich.

Wenn vor diesem Hintergrund hochrangige Politiker ohne Fakten davon sprechen, dass man auf Bus und Bahn verzichten soll, werden Fahrgäste verunsichert.

Wir haben aber festgestellt, dass die anfängliche Befremdlichkeit gegenüber dem Mund-Nase-Schutz gewichen ist. Mittlerweile kontrollieren sich die Fahrgäste fast schon selbst und passen auf, dass niemand ‚oben ohne‘ mitfährt. Ergebnis: Nahezu alle Fahrgäste halten sich an die Maskenpflicht.“

„Es muss weiter kontinuierlich an einer Politik der Verkehrswende gearbeitet werden.“

Sicher fahren trotz Corona.

DINGFO: Keiner erwartet eine schnelle Normalisierung – wie lauten Ihre Aussichten auf die wirtschaftliche Lage des Nahverkehrs in 2021?

Oliver Wolff: „Die Fortführung des Lockdowns in den März hinein wird die Fahrgastzahlen, die sich im September 2020 eigentlich schon wieder ganz gut erholt haben, bis auf weiteres stagnieren lassen, wir schätzen auf 50 bis 60 %. Aber letztlich werden die Fahrgäste wieder zurückkommen!

Der Sommer 2020 hat gezeigt, dass sich vor allem unsere Stammkunden nie ganz abgewandt haben. Nur die Wahlfreien, also diejenigen, die sich jedes Mal neu zwischen Pkw, Fahrrad und ÖPNV entscheiden, werden erst dann wieder unsere Kunden, wenn die Krise überstanden ist und wenn wir Ihnen gute Angebote machen.“

Viel diskutiert: das Ansteckungsrisiko im ÖPNV.

Studien aus dem Ausland bestätigen aktuell ein geringes Infektionsrisiko im ÖPNV. In Österreich hat die Agentur für Ernährungssicherheit Infektionsketten rekonstruiert und konnte dabei nicht eine Infektion auf eine Ansteckung im ÖPNV zurückführen.

Ähnlich die Ergebnisse einer Forschergruppe aus Tokio: Von 3.000 untersuchten Fällen konnten keine Infektionsketten mit Hinweis auf den ÖPNV als Ursprung ermittelt werden.

Auch in der Millionenmetropole New York kam es zu keinen Massenansteckungen im öffentlichen Nahverkehr.

Die meist kurze Verweildauer, stetige Frischluftzufuhr und das Tragen von Alltagsmasken führen erfolgreich zu einer Reduktion der Risiken. Außerdem sorgen optimierte Reinigungsintervalle sowie verstärkte Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen für bestmöglichen Schutz.

Denn eines zeigt sich: So sind gerade die, die den ganzen Tag Bus und Bahn fahren, nämlich die Fahrerinnen und Fahrer selbst, von allen 600 Mitgliedsunternehmen des VDV nur in seltensten Fällen von einer Covid-19-Infektion betroffen, die dem Arbeitsplatz zuzuschreiben ist. Ähnlich verhält es sich mit Servicepersonal in Kundencentern.

„Lauter und mutiger kommunizieren!“

DINGFO: Kurz vor Corona hat der ÖPNV Anlauf genommen, um einer der wichtigsten Problemlöser zur Bewältigung der Klimakrise zu werden. Kann er da jemals wieder ansetzen?

Oliver Wolff: „Die Herausforderungen werden – wie gesagt – nach Corona dieselben sein wie vorher, jedenfalls sobald sich die Pendler- und Verkehrsströme normalisieren. Wir wissen mittlerweile, dass der ÖPNV eine der Schlüsselbranchen zur Bewältigung der Klimakrise ist. Deshalb muss weiter kontinuierlich an einer Politik der Verkehrswende gearbeitet werden.

Was wir darunter verstehen, kann man in fünf Punkten so zusammenfassen: mehr Angebot und mehr Qualität für mehr Fahrgäste, mehr Vorrang für den ÖPNV, mehr Geld für Angebots- und Infrastrukturverbesserungen, Digitalisierung und innovative Verknüpfung im Umweltverbund und schließlich bessere Planungsstrukturen für beschleunigte Prozesse.“

DINGFO: In jeder Krise sollten auch Chancen für eine Fortentwicklung oder sogar einen Neuanfang liegen – wie wird sich der Nahverkehr durch Corona verändern?

Oliver Wolff: „Wenn wir die Krisenerfahrung jetzt nicht als Impuls für die Verkehrswende nutzen, dann wird die Atemschutzmaske zu unserem ständigen Begleiter werden – nicht gegen die Pandemie, sondern gegen die Umweltverschmutzung. Dazu müssen wir Verkehr neu denken! Das plakativste Beispiel dafür ist die Forderung, dass Städte nicht mehr „Auto-gerecht“, sondern „Menschen-gerecht“ sein sollen – ein Punkt, der leider noch immer oft auf harten Widerstand stößt. Oder die Überbrückung der „letzten Meile“ zwischen Straßenbahnhaltestelle und Firmengelände, für die wir eine Bandbreite neuer und vernetzter Mobilitätsangebote brauchen.

Oder die flächendeckende Erschließung der ländlichen Regionen mit bedarfsgesteuerten Systemen von früh bis spät, an 7 Tagen in der Woche. Wir müssen aber als Branche auch lauter und mutiger kommunizieren als bisher – auch das ist ein Teil des Neuanfangs.“

Oliver Wolff, Jahrgang 1965, ist Jurist. Seit 2011 leitet er als Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) die Geschicke des Verbandes. Als Vizepräsident im CER (Community of European Railway and Infrastructures Companies) und UITP (Internationaler Verband für öffentliches Verkehrswesen) bringt er heute seine Erfahrung rund um ÖPNV, Tourismus, Mobilität und mehr in seine Arbeit auf regionaler ÖPNV-Ebene ein.